Guerillagärtner, irgendwo in Deutschland
Es gibt uns im ganzen Land, man nennt uns urbane und illegale und auch Guerillagärtner – oder meist einfach nur beim Namen: Grüner Willi oder Blumen-Beate; da heißt es: „Wir bringen mal dem Ali für sein kleines Beet ein paar von unseren Stiefmütterchen vorbei.“ oder: „Alicia ist doch immer scharf auf samenfestes Saatgut, lass uns da mal etwas abfüllen.“ In der Nachbarschaft kennt man uns. Wir Gärtnern in aller Öffentlichkeit, ohne Gemeinschaftsbeet oder Kleingarten. Beackert werden wilde Flächen, um die sich sonst keiner kümmert, vollgemüllt und zugelatscht, die traurigen, lieblosen Flecken, die es fast überall gibt. Das können Innenhöfe und der (einstmalige) Grünstreifen zwischen den Parkbuchten sein, lang vergessene Pflanzkübel, verlotterte Parks … wo man eben etwas Erde und Platz findet. Da das Ganze unter dem Radar der Ämter stattfindet, hängt man das alles nicht an die Große Glocke, sondern verabredet sich im kleinen Kreis mit Nachbarn, Freunden und der Familie oder gärtnert auch allein. Bis auf etwas Arbeitsgerät wird nichts großartig angeschafft, die Pflanzen kommen aus Spenden oder werden gerettet. Zumindest bei uns.
So wie gerade am Wochenende. Ein befreundeter Unter-Radar-Gärtner berichtete, dass in einem unserer Parks eine dieser ortsüblichen Hauruckaktionen zur Vertreibung von Obdachlosen stattgefunden hätte und man dort großflächig Büsche und Bäume herausgerissen hatte, um die Rückzugsorte für die Schlafplätze zu vernichten – purer Aktionismus, die Obdachlosen werden nicht verschwinden, sondern einfach weiterziehen und woanders schlafen. Wir verabredeten uns für den übernächsten Morgen, gleich nachdem es hell wird.
Vor Ort das reinste Gehölzmassaker, in uns Wut und Traurigkeit – das sind doch noch gesunde Pflanzen gewesen … Lebewesen! Aber da wir uns nun nicht andauernd von schlechten Gefühlen mitreißen lassen können, gings dann einfach an die Arbeit. Der Großteil war zersägt und auf Haufen geworfen, an ungefähr zwanzig Pflanzen waren aber noch Wurzeln. Davon nahmen wir zehn mit – wie wir später per Handy erfuhren, hatte bereits am Vortag ein anderer Undercover-Gärtner zwanzig gerettet – man kennt sich mit der Zeit im Viertel und ruft einander an, wenn man auf so etwas stößt, er wollte uns gerade bescheid sagen (und kam dann später sogar noch persönlich vorbei). Wir luden die intakten Bäumchen und Sträucher auf den Fahrradanhänger und sägten und schnitten von den kaputten lange Zweige und Äste ab – Material für die späteren kleinen Zaunumrandungen.
An unserem Ziel waren zunächst drei kleine Flächen von Müll und Weihnachtsbäumen zu befreien. Bevor man loslegt, ist es wichtig, zu schauen, ob es dort Anschlüsse gibt, an die jemand heran muss, Leitungen, Rohre, Stromkästen, wie die allgemeine Straßen- und Gehwegsituation ist – Autofahrer müssen noch freie Sicht und Türfreiheit haben, Radfahrer von Ästen unbelästigt fahren und alle miteinander die Straße übersehen können. Das ist ja öffentlicher Raum, hier gibt es viele unterschiedliche Bedürfnisse, die man im Hinterkopf haben sollte, Respekt vor der Natur schließt den Respekt vor Menschen mit ein (so schwer das auch manchmal fallen mag).
Dann war rhizomische Empathie gefragt: Wo kommt welche Pflanze hin, wie tief und weit sind die Löcher zu graben, wie groß sollen die Abstände sein usw. Wir gruben. Die Beschaffenheit der Böden war sehr unterschiedlich, wir hatten gute Geräte dabei. Die Gehölze kamen in frische Erde – wir füllten diese im Hof in Eimer und holten von dort auch das seit dem Herbst gesammelte und angerotte Laub, das als Mulchschicht drauf kam. Man hat da eigentlich immer etwas vorbereitet.
Während wir arbeiteten, hielten immer wieder Leute an und fragten interessiert, was wir da machen würden – viele boten ihre Hilfe an: Setzlinge aus dem Kleingarten oder Wekzeug, eine Frau erzählte, dass ihre Hausgemeinschaft kompostieren würde und erklärte, wie wir jederzeit in den Hof kommen und uns von dem Humus nehmen können. Klasse! Manchmal hocken sich auch ganze Familien dazu und machen spontan mit. Gärtnern stiftet Gemeinsinn, in unserer zunehmend entwurzelten Gesellschaft besteht bei vielen das Bedürfnis, sich wieder etwas zu erden und mit anderen aktiv zu werden. Jeder kann mitmachen, egal, wo sie oder er herkommt, ob er politisch oder sexuell andersdenkend, groß oder klein, schief oder krumm ist – kleinster gemeinsamer Nenner ist die Liebe zur Natur, die Freude an Blumen, Bäumen, Beeren, dem Wühlen im Boden, den zwitschernden Vögeln im Geäst, den schwirrenden Insekten. Das Schöne ist, dass jede und jeder, der auch nur ein kleines Pflänzchen mit in die Erde brachte oder eine Gieskanne voll Wasser holte, fortan anders auf diese Fläche schauen wird, die ja nun auch ein wenig die seine geworden ist.

Als die Gehölze in der Erde waren, bauten wir noch niedrige zaunartige Umrandungen, da ansonsten viele einfach weiterhin durchlatschen und alles umreißen würden – was allerdings auch so passieren kann. Man darf nicht zu sehr an den Pflanzungen hängen, da immer wieder mal ein Auto in die Beete fährt, Leute ihren Müll reinwerfen oder die Bäumchen und Blumen ausreißen. Mit diesem Risiko lebt man.
Obwohl es vorher die ganze Nacht geregnet hatte und auch, nachdem wir fertig waren, wieder anfing, konnten wir viereinhalb Stunden im Trockenen arbeiten. Einmal schickte uns die Sonne durch die dicken grauen Wolken hindurch sogar einen warmen Strahl aufs Beet, was wir durchaus persönlich nahmen und fröhlich zurückgrüßten. Ein sehr schöner Vormittag – nun werden wir sehen, ob die Pflanzen anwachsen und ihre neue Umgebung annehmen. Zwischendurch wird bei Bedarf immer mal wieder gegossen oder das Zäunchen repariert.
