Helko Reschitzki, Moabit
Heute war der erste Tag des Jahres, an dem mir die Sonne so schien, dass ich mein Gesicht in ihre Richtung drehte und die Augen schloss. Als ich sie wieder öffne, sehe ich, dass neben mir eine junge Frau steht, die ebenso ihre Augen geschlossen hat und in die schon etwas warmen Strahlen lächelt.
Energietanken auf andere Art dann im Kunstverein Ost (KVOST) in der Leipziger Straße in Mitte, wo ich das Video „Broniów Song“ sah. In diesem singt die trachtengewandete ostpolnische Folkloregruppe Broniowianki auf einer Birkenwaldschneise ein Lied:
Wo einst die Felder bestellt wurden / Wächst nun das wilde Gras / Die EU verführte uns mit Subventionen / Nun gibt es kaum noch Kühe und Schweine // Der Schwarzmarkt brummt / Die Leute sammeln Äpfel und Kräuter / Die Schulden im Dorfladen sind hoch / Die Männer trinken und die Frauen kochen // Besser wirds nur, wenn wir uns organisieren / Kommt, wir gründen Kooperativen …
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Den Text hat die Künstlerin Alicja Rogalska, die als Teil einer großen Bauernfamilie in derselben Woiwodschaft wie die Gesangsgruppe aufwuchs, zusammen mit den Dorfbewohnern Bronióws entwickelt, die Melodie stammt von einem lokalen Liebeslied. Die Region Südmasowien ist für ihre lange Volksmusiktradition bekannt – und für die höchste Arbeitslosigkeit des Landes. Die Jungen wandern ab, die Alten leben in Armut, es gibt kein staatliches System, das dieses auffängt, Probleme, die viele Gemeinschaften weltweit teilen. Umso wichtiger, dass darüber geredet (oder eben gesungen) wird. Jede Veränderung beginnt mit dem Wahrnehmen und ehrlichen Benennen der Realität.
Die Luft erstmalig seit Tagen nicht mehr knochenfeucht, sondern klar bei ungefähr 0°C und zartblauem Himmel.
Im Briefkasten Post von der Krankenkasse, meine Wahlunterlagen und „Der kritische Agrarbericht“ – lasst uns Kooperativen gründen.
