Christoph Sanders, Thalheim
Der Samstag leider völlig grau. Der Frost ist nun definitiv da – minus sechs an der Nordwand, minus fünf an der Südwand. Nachdem ich Meisenringe aufgehängt habe, hüllt Dvořáks Streichquartett Nummer 8 den Raum ein. Korrektur meines Beigbeder-Textes, für die Fahrt durch Mittelerde einen guten Ansatz finden. Im Radio mit Getöse Welttheateraufführungen – bei mir bleibt der Vorhang heute unten. Für die Wochenendbesorgungen mit dem Fahrrad auf den Berg – Tiefenatmung gegen die noch leicht schwebende Erkältung. Bei der Limburger Nothilfe finde ich einen Holzschreibtisch, der unsere Neu-Spandauerin begeistert. Sie sagt vintage – er ist höchstens zehn Jahre alt. Nächste Woche Kauf, im Dezember Transport nach Berlin.

Am Nachmittag eine Thermometer-Null. Feldsalat mit ganz langsam durchgebratenen Kartoffelscheiben. Die Jüngste zum Reiterhof gebracht. In dem Gehöft mit Südlage haben bis zu dreißig Pferde Platz. Die Eigentümerin ist Tierärztin. Ich fremdel ja mit den stark riechenden, schnaubenden und grunzenden Tieren, die ständig gebürstet werden wollen. Aber ich bewundere den „Pflegetrieb“ all der Mädchen, von denen ich nur wenige Jahre später viele lustlos smartphoneschielend Kinderwägen über die Felder schieben sehe. Es ist zu 100% ein Girlsding, die Jungs schrauben lieber am Moped.

Den letzten, vier Meter langen, Haselstrunk abgesägt. Ein Nachbar kommt des Wegs und grüßte anerkennend. Wir haben zehn Stück Brennholz mehr als er – das sind hier so die festen Werte. Beim Bildersortieren fällt mir auf, dass das Mädchen, das vor mir an der Kasse stand, dieselbe somalische Gesichtsform wie Muhammad Ali hatte. Plus eine andere, eher westafrikanische Kantigkeit. Unter dem Daunenjackenpuff ein langer weißer Rock, die Haare zu einem Zopf bandagiert. Die Wangen mit einem intensiven hellrosa Blush, was auf der auf kakaofarbenen Haut wie ein dunkler Pfirsich aussah – ein sehr interessanten Effekt! Ich zeige dem Sohn das Ali-Foto. Anhand des Chevy Chevelle im Hintergrund kann ich das Bild sicher auf 1966 datieren. Mein Sohn ist beeindruckt. Die 18,4 Grad Raumtemperatur deuten auf eine kalte Nacht hin. Ofenfeuer und Choräle von Poulenc.

Am Sonntag Westerwaldrunde. Das heißt, ich setze bereits früh am Morgen die Bolognese auf – je länger sie zieht, desto besser. Gegen acht die ersten Goldschimmer der Sonne. Es ist unverändert kalt. Aus dem Gestrüpp verhaltenes Zwitschern; die Meisen haben aber noch nicht auf die Futterbälle angesprochen. Die Jüngste ist krank. Dieselben Symptome wie der Finanzfacharbeitersohn – Schnupf und Ohrdruck. Üppige Teeversorgung. Ich kombiniere „Winterträume“ und „Yogi“. (Warum bevorzugen Frauen diese bunten Beuteltees mit Fantasienamen??? Ich schleppe das Zeug jedenfalls nicht ins Haus!) Kürzlich hörte ich irgendwo, dass die Yogamatten von Temu voller Giftplastik seien. In Bruchssätzen an die Reiseerzählung über den Rothaarkamm und die Frankenberger Mulde, dann aufs Rad und los.

Gleicher Frost wie am Vortag. Der Wind dreht gegen Mittag auf Süd, ab 14h30 ist die Sonne fort. Mein Tritt ist rund, da ist das Wetter nicht so wichtig. Am Rand der Runde nach Hachenburg verwaiste Fußballplätze – alle Spiele abgesagt, berichtet später mein Sohn. Auf unzähligen Plakaten wird der Beginn der „Blackweek“ angekündigt. Als ich heimkehre, bauen unsere Nachbarn gerade ihr aufblasbares, synthetisches Weihnachtsparadies auf. Viele bunte LED-Lampen. Adventsstimmung verbreiten, sich am Naschwerk erfreuen. Das Fest des Lichts kann Deutschland retten. Um 17 Uhr Schnee – schnell den Ofen heizen! Dvořáks Streichquartett Nr. 9 ist eine Offenbarung.

Am Montag schwacher Schneefall, grau, das Kind noch verschnupft. Ein durchweg ereignisarmer Tag: Wäsche, Hausaufgabenbetreuung, Lektüre, Beschreibung der Winterberg-Fahrt, Kochen. Abends eine wohluende Suppe. Mählich dahinschmelzender Schnee und Nieseln.

Am Dienstag die Schlagzeile: „Kreuzberger Mama fährt mit dem Lastenrad in den KitKat Club“ – ich hoffe, ihre Kinder sind bereits volljährig. Wirre Nachrichtenlage. Buntes Volk mischt sich mit Angstdiktatoren, Weihnachtsmarkt mit Black Friday. Unser Sohn besteigt an einem neblig trüben Morgen bei ein Grad die elf Minuten verspätete Kleinbahn. Ich zünde meiner immer noch verschnupften Tochter (13) eine rote Kerze an. Es geht ihr sogleich besser. Am Straßenrand ein Kolkrabe, der mit seinen gewaltigen Schnabel an einer Leiche beschäftigt ist. Es ist bizzarr, wie ungelenk er sich dabei bewegt. Während die Bettwäsche durchläuft, Besorgung eines 2-mm-Hartmetallbohrers und der Zutaten fürs Mittagessen. Alltag.
