Frank Schott, Leipzig
Winter ist, wenn man durch das Schaben der Eiskratzer auf den Autoscheiben geweckt wird: Krrrk, krrrk, krrrk. Wechsel auf die Beifahrerseite, und wieder: Krrrk, krrrk, krrrk. Der Sonntag ruft mit Sonnenlicht und blauem Himmel zum Laufen. Auch um 11 Uhr sind es noch minus zwei Grad, wobei ein deutlicher Unterschied zwischen der Sonnen- und der Schattenseite besteht.
Weil Frost und trockene Kälte das Bodenwasser bannten und die Pfützen zu Eis erstarren ließen, kann ich erstmals seit Wochen wieder auf den Waldstrecken joggen. Es sind viele Menschen unterwegs: Hundebesitzer mit ihren Tieren, Eltern mit Babys oder Kleinkindern, Rentner beim Spaziergang, jugendliche Sportler auf dem Weg zur Spielstätte des SV Schleusig und natürlich Läufer. Überraschenderweise sehe und höre ich heute kaum Krähen.
Der Fluss, auf dem einige Enten vor sich hindümpeln, trägt auf der schattigen Uferseite einen Hauch von Eis. Raureif bedeckt Laub, Wiesen und die letzten Pflanzen, die erfroren ihre Blätter hängen lassen. Kinder springen in Laubhügel, die zusammengeblasen, aber noch nicht abgeholt sind. Kaum zu glauben, dass es erst Mitte November und nicht tiefster Januar ist.

Auch der Samstag ist winterlich kalt. Die tiefstehende Sonne sorgt für scharfe Schatten und lässt Menschen und Bäume im Gegenlicht als dunkle Silhouetten erscheinen. Schnee liegt noch nicht, aber bei der kalten Luft fehlt nicht viel, um sich das Knirschen vorzustellen.

Gespräche am Pubtresen mit Antifa-Aufkleber.
Ein Freund aus Berlin berichtet, dass bei ihm in der Nähe zwei traditionsreiche Restaurants geschlossen hätten: „Es kamen immer weniger Gäste. Um die fehlenden Einnahmen zu kompensieren, mussten sie die Preise erhöhen. Woraufhin noch weniger Gäste kamen. Und am Ende wollte keiner mehr 6,90 Euro für den halben Liter Bier bezahlen.“
Der Wirt holt einen handgeschriebenen Zettel hervor. Darauf hat er die bisher bekannten Kostensteigerungen des nächsten Jahres aufgelistet: Die Lieferanten erhöhen die Preise für das Bier. Der Dienstleister verlangt über 30 Prozent mehr für die Reinigung der Schankanlagen. Der Mindestlohn steigt. Die Stadt berechnet einen kräftigen Zuschlag bei den Gebühren für Müll und Wasser. Dazu kommt die allgemeine Inflation und ab nächstem Jahr die nochmals höhere CO2-Abgabe. „Eigentlich müsste ich meinen Gästen diesen Zettel neben der Preiskarte vorlegen, wenn diese sich über die Preise beschweren.“ Er hat noch Glück mit seiner kleinen Kneipe – das meiste deckt er selbst ab, wodurch die Personalkosten moderat sind. Wenn die anderen Wirte die Preise anheben würden, müsse er mitziehen, sonst mache er sich angreifbar und unbeliebt. Es ist interessant, wie unser eher links eingestellter Kneipier im Lauf der Monate und Jahre von der Realität eingeholt wurde.

Auch viele andere Dienstleister und Händler haben Probleme. Seit Wochen hat der letzte Fleischer an unserer großen Einkaufsstraße wochentags nur noch bis 14 Uhr und am Wochenende gar nicht mehr geöffnet – er findet einfach keine Verkäufer. Da nimmt er lieber das Frühstücks- und Mittagsgeschäft mit, als den feierabendlichen Verkauf von Wurst und Fleisch – zwischen zwei Übeln vermutlich die kaufmännisch sinnvollere Entscheidung. Für Berufstätige bleibt nun nur noch der Gang an die Kühltheken der Supermärkte.

Ähnliche Situation, anderes Vorgehen: Der kleine Blumenladen um die Ecke wird familiär geführt. Um jedes Geschäft mitzunehmen, öffnet er auch am Sonntag. Aktuell sind die Balkonpflanzen und Blumensträuße aus der Auslage verschwunden. Das ist nicht nur der Kälte geschuldet, sondern vor allem der Saison – zur Adventszeit ist das Interesse an Gestecken größer als der Bedarf an Blumen. Zumal der Laden in diesem Sortiment relativ konkurrenzlos ist – in den Supermärkten findet sich kein frisches Nadelgrün, nur lebeloses Plastik, wenn überhaupt.

Am Montag dann der erste Schnee im Leipziger Tiefland. Unsere beiden Katzen sind hin- und hergerissen. Einerseits wollen sie raus, andererseits zuckt jede Pfote zurück, sobald sie in den ein bis zwei Zentimeter hohen Schnee eintaucht. Kurzer, unentschlossener Blick zur Tür, die ins Warme führt. Noch ein kräftiges Schütteln (vielleicht ein Äquivalent zum menschlichen Schulternzucken?), dann geht es los. Das Hinterhofabenteuer wartet.
