Frank Schott, Leipzig
Waren Zigarettenautomaten früher einfach nur Blechkästen mit Auswahlfeldern für die verschiedenen Marken und einer Warnung für Minderjährige, so sind sie heute um Aufmerksamkeit buhlende Litfaßsäulen – vielfach überklebt und überkritzelt mit Werbung für Events, Musikgruppen, den Lieblingsverein, weltanschauliche Orientierungen … aber ja, Zigaretten gibt es auch noch.

Vogelgrippe hin oder her – ich sehe in der Leipziger Innenstadt zur Zeit sehr viele Krähen. Während in den Vorjahren an Hitchcock erinnernde düstere Schwärme, einem unsichtbaren Dirigenten folgend, Muster in den Himmel webten, so sind es in diesem Herbst Einzelgänger, die wie Securityleute die Straßen auf und ab patrouillieren. Andere hocken auf Laternen und sondieren die Lage wie Scharfschützen bei einem Staatsbesuch. Nicht zu vergessen jene, die wie Drohnen über uns kreisen und darauf hoffen, dass wir etwas Fressbares fallen lassen.

Der Donnerstag ist der dritte sonnige Tag in Folge. Das belebt die Seele und beflügelt den Geist, so dass ich eine Runde laufen gehe. (Der Ausdruck bringt mich im Deutschen wie im Englischen immer zum Schmunzeln: ich gehe laufen, ich gehe schwimmen, ich gehe radfahren …) Das Joggen fiel mir zuletzt unerwarteterweise wieder schwerer, so dass es nur 6,5-Kilometer durch den Wald werden. Da es nicht so aussieht, als würde die dortige Bodennässe vor dem nächsten Frühjahr weichen, ist es nun wohl wirklich an der Zeit, die unbefestigten Wege zu meiden und auf Asphalt auszuweichen.

Besser als das Joggen funktioniert momentan das Radfahren. Am Dienstagabend machte ich eine Sonnenuntergangstour um den Cospudener und Markkleeberger See. Die frühen Abendstunden im Herbst (wobei, was heißt früh, wenn es ab 17 Uhr bereits finster wird) haben den Vorteil, dass kaum Menschen unterwegs sind – einige eher langsame Radfahrer auf dem Heimweg, ein paar Schnellfahrer wie ich, die Gassigeher und natürlich die Läufer.

Ich selbst laufe im Dunkeln nur ungern auf Wald- und Wanderwegen, weil ich unbeleuchtete Strecken ohne Licht meide, aber auch kein Freund von Stirnlampen bin. Bei dieser Tour habe ich festgestellt, dass Jogger für Radfahrer unangenehm sind – entweder haben sie keine Stirnleuchte, dann sieht man sie in ihrer dunklen Kleidung erst sehr spät, oder sie haben sich zwar eine Lampe an den Kopf geschnallt, die jedoch so heftig blendet, dass man sie ebenfalls nicht sieht, sondern blinzelnd in eine sich nähernde Supernova fährt.

Am Donnerstag entscheide ich mich für eine Fahrt zum Schladitzer See. Weil dieser am entgegengesetzten Ende der Stadt liegt, muss ich mich durch den ampelreichen Verkehr, vorbei an Baustellen und über mit Fußgängern geteilte holprige Rad- und Gehwege nach Norden quälen. Ist man erst einmal raus aus der Stadt, wird es dafür wunderschön einsam. Der See gehört den Wasservögeln.

Ich verlängere die Tour spontan bis nach Schkeuditz – und komme so nach Rückmarsdorf. Das ist eine jener Gemeinden, denen es dank großer Gewerbeparks und den entsprechenden Steuereinnahmen besser als dem Durchschnitt geht. Ich kreuze die A9 und fahre zwischen dem Porsche-Werk und dem DHL Hub am Flughafen weiter. Schkeuditz hatte ich bislang nur einmal durchquert, als ich wegen eines Schienenersatzverkehrs mit dem Rad von Halle nach Leipzig fahren musste. Auch dieses Mal reicht es nicht für einen längeren Halt – es gibt nur einen kurzen Stopp, um auf der Navigationsapp den besten Weg durch die Stadt zu finden.

Von Schkeuditz aus geht es durch die Auenlandschaft zur Neuen Luppe und dann immer am Fluss entlang nach Leipzig zurück. Reiher stehen am Ufer und inspizieren das Nahrungsangebot. Kleine Jagdvögel kreisen über dem Wasser und den Wiesen auf der Suche nach einem Fisch oder einer Maus. Eine Schwanenfamilie, drei Kinder noch im grauen Jungtiermantel, ist vom Schilf halb verdeckt. Es sind kaum Menschen unterwegs. Ein Mann mit einer Schafherde, entpuppt sich beim Näherkommen als ein Mann mit einem Rudel Hunde – sieben Tiere, etwa so groß wie Schafe, langes Fell in verschiedenen Farben, die erwartungsfroh auf die Leckerli-Tüte starren, die er in der Hand hält. Zunächst denke ich, dass es ein Hundesitter ist, doch dafür sind sich die Tiere, abgesehen von der Fellfarbe, zu ähnlich. Vielleicht ein Züchter? Ich habe nicht gefragt und werde es deshalb nie erfahren.
Gut zwei Stunden und knapp 50 Kilometer später bin ich hungrig, aber erfüllt von Sonne und Wind wieder zuhause – wo ich mir erst einmal zwei große Schalen Linsensuppe gönne. Am Abend steht dann wieder eine Runde „Flöhe hüten“ an – Fußballtraining mit den 7- bis 9-Jährigen, donnerstags immer in der Turnhalle. Das ist immer laut und chaotisch, erfüllt mich aber mit Freude.
