Walter Kintzel, Parchim
Neupflanzen in Mecklenburg
In meinem letzten Beitrag über die Osterluzei haben wir das Thema Neophyten bereits kurz gestriffen – das soll heute vertieft werden.
Von den Botanikern werden die heimischen Pflanzen nach ihrer Einwanderungs- bzw. Einführungszeit in drei Typen eingeteilt:
Die ältesten Pflanzen unserer mitteleuropäischen Flora sind die Oikophyten. Sie wurden hier unabhängig vom Menschen heimisch, meist vor der Jungsteinzeit, die etwa 5800 bis 4000 v. Chr. begann.
Archäophyten hingegen gelangten durch den Menschen in neue Gebiete. Dies geschah in vor- oder frühgeschichtlicher Zeit, vor allem zwischen dem Ende der Jungsteinzeit, in Norddeutschland um 2200 v. Chr., und 1500 n. Chr. Oft wurden diese Arten unbeabsichtigt mit Saatgut oder Handelswaren in neue Gebiete eingeschleppt und konnten sich dort dauerhaft etablieren.

Besonders interessant für uns heute sind die Neophyten (griech. néos = neu, phytón = Pflanze). Darunter versteht man Arten, die nach 1492 absichtlich oder unabsichtlich in Gebiete gelangten, in denen sie zuvor natürlicherweise nicht heimisch waren. In vielen Fällen ist sogar das genaue Jahr ihres ersten Auftretens bekannt. Die zeitliche Grenze orientiert sich an der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus, bezieht sich jedoch nicht ausschließlich auf Pflanzen, die aus Amerika eingeführt oder eingeschleppt wurden.
Man muss davon ausgehen, dass bereits im Mittelalter (ca. 500–1500 n. Chr.) durch den Fernhandel über Land und Meer – man denke nur an die Hanse – mit importierten Waren oder Schiffsballast Pflanzensippen in Mecklenburg eingeschleppt wurden. Darüber wissen wir allerdings kaum etwas, da die botanisch-floristische Forschung in unserer Region erst um 1760 bis 1770 einsetzte.

Im Altkreis Lübz ist ungefähr jede zehnte Pflanze ein Neophyt, in Mecklenburg-Vorpommern sogar mehr als jede dritte. Zwangsläufig stellt sich die Frage, wie diese neuen Arten zu uns gelangten. In vielen Fällen wurden sie gezielt als Kulturpflanzen eingeführt – etwa Kartoffel, Mais, Robinie oder Roteiche. Häufig erfolgte die Verbreitung jedoch unbeabsichtigt, beispielsweise durch die Verschleppung mit anderen Gewächsen oder deren Saatgut.
Darüber hinaus breiten sich Arten aktiv entlang von Verkehrswegen wie Flüssen, Kanälen, Straßen oder Eisenbahngleisen aus. Typische Vertreter sind Pestwurz, Bahndamm-Ampfer oder Kali-Salzkraut. Auch Häfen, und da insbesondere Seehäfen, sowie Güterbahnhöfe dienen als „Einfallstore“: So wurde 1938 auf dem Lübzer Bahnhof erstmals die Punkt-Strauchpappel für Mecklenburg nachgewiesen und 1957 auf dem Lübzer Hafen an der Elde-Müritz-Wasserstraße die Schönmalve. An Silos, Schweineställen und auf dem Gelände von Mischfutterwerken fanden sich aus Amerika stammende Arten, die als Begleiter von Futtermitteln hierher gelangten.
Kommen wir nun zu den Pflanzen, die sich entlang der Flussläufe angesiedelt haben. Es gibt bei uns kaum ein Gewässer, in dem die ursprünglich aus Nordamerika stammende Kanadische Wasserpest nicht vorkommt. 1864 erfolgte der Erstnachweis bei Dömitz an der Elbe, ein weiterer 1867 an der Müritz bei Sembzin, elf Jahre später wurde sie nahe der 50 Kilometer entfernten Stadt Parchim entdeckt. In ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet hat die Pflanze männliche und weibliche Exemplare. In Europa kommen jedoch nur weibliche vor, da männliche nie erfolgreich eingeführt wurden oder sich nicht halten konnten. Daher erfolgt keine Vermehrung über Blüten und Samen – die Art breitet sich bei uns ausschließlich ungeschlechtlich (vegetativ) durch abgelöste Triebstücke aus.
Ab ca. 1960 erfolgte im Bezirk Schwerin der Anbau von Perserklee und Alexandriner Klee als einjährige Sommerfutterpflanze. Das Saatgut kam aus dem Iran und Pakistan und brachte mediterrane und vorderasiatische Kräuter als Neophyten mit. In einer Ansaat bei Dobbertin erfolgte 1980 der lokale Erstnachweis der Blasenmiere, deren Heimat von Westasien bis zum Himalaja reicht. Das Exemplar war fast ein Meter hoch, stark verzweigt und üppig blühend!

Mitte der siebziger Jahre entstanden in der DDR in verschiedenen Bezirken offene Schweinemastanlagen, die häufig in Wäldern errichtet wurden. Nach ihrer Auflassung entdeckten Botaniker an diesen Standorten Pflanzen, die zuvor in Deutschland entweder gar nicht oder nur sehr selten nachgewiesen worden waren.
Im Revier Gostorf bei Grevesmühlen dominierten bis zu drei Meter hohe Gänsefußarten – landläufig werden diese meist als Melde bezeichnet. Die Herkunft liegt in Teilen Südamerikas und im Süden der USA; in vielen Fällen sind sie giftig. Entlang von Chaussen und Bahndämmen hat sich in den letzten vier Jahrzehnten der Rispen-Sauerampfer verbreitet – nicht von ungefähr wird er „Bahndamm-Ampfer“ genannt. Die Wehrlose Trespe, ein haferähnliches Gras von bis zu neunzig Zentimeter Höhe, ist dort ebenso zu finden.

Entlang der Bahnstrecken zur Kali-Kippanlage im Hafen Wismar, die in den Jahren 1951 bis 1974 betrieben wurde, konnte sich das Kali-Salzkraut ansiedeln. Beim täglichen Transport des Kalidüngers gelangten immer wieder geringe Mengen Salz vom Ladegut auf die Puffer, Vorsprünge und den Bahnkörper, von wo aus es sich in der Umgebung verbreitete. So entstanden Vorzugstandorte für diese salzliebende Art, die sich an manchen Stellen zu Optimalstandorten entwickelten. Die natürliche Heimat des Kali-Salzkrauts sind die salzhaltigen Steppenböden Asiens und Südosteuropas. Auf gleiche Weise hat sich der Zurückgebogene Fuchsschwanz im Gebiet des heutigen Mecklenburg-Vorpommern ausgebreitet. Aus Nordamerika stammend, tritt er seit etwa 1970 zunehmend als sogenanntes Unkraut in Hackfruchtkulturen auf. Seine Herbizidresistenz sorgte dafür, dass er sich trotz chemischer Bekämpfung behaupten konnte.

Bekannte Neophyten in Deutschland sind unter anderem:
Bäume:
Götterbaum, Robinie, Roteiche, Eschenahorn, Spätblühende Traubenkirsche
Sträucher:
Kirschlorbeer, Mahonie, Sommerflieder
Kräuter, Stauden und Blumen:
Kanadische Goldrute, Späte Goldrute, Vielblättrige Lupine, Riesen-Bärenklau, Drüsiges Springkraut, Beifußblättriges Traubenkraut, Japanischer Staudenknöterich, Sachalin-Knöterich, Gartenfenchel, Gewöhnlicher Sonnenhut, Topinambur, Kanadisches Berufkraut, Garten-Lupine, Nachtkerze, Wilde Malve, Studentenblume, Garten-Balsamine, Stechapfel, Kapuzinerkresse
Kulturpflanzen:
Kartoffel, Mais, Tomate, Kürbis, Sonnenblume, Zucchini.
Aktuellen Erhebungen der EU zufolge gibt es in Europa ungefähr 12.000 gebietsfremde Arten, von denen etwa 2.000 als invasiv gelten – das heißt, dass sie potenziell nachteilige Auswirkungen auf einheimische Pflanzen, Lebensräume oder Ökosysteme haben.

Über drei Jahrhunderte hinweg haben sich Mecklenburger Botaniker leidenschaftlich mit Neophyten befasst, so z.B. Dr. Heinz Henker aus Neukloster, dessen Verdienste auf diesem Gebiet nicht hoch genug zu schätzen sind. Ebenso zu nennen ist der Lehrer Walter Dahnke aus Parchim, dem wir wertvolle Notizen über die Franzosenkräuter und vieles andere mehr verdanken.

Die zugrundeliegende sowie weiterführende Literatur und andere Quellen können gern beim Autor angefragt werden. (botaniktrommel@posteo.de)
