Christoph Sanders, Thalheim
Am Donnerstag regnerisches Herbstwetter, während sich im Radio die Klimaexperten überschlagen: „3 Grad! 2050!“ Was mir bei der Diskussion fehlt, ist die Benennung von konkreten Gefahrenzonen für Wetterereignisse, von eindeutigen Plänen und Maßnahmen. Da gehts dann nämlich schnell um Grund und Boden, um Bauflächen, Versicherungspolicen (die Definition von Elementarschäden), im Endeffekt also um Vermögensberichtigung, den Werteverlust von Eigentum. Hierzu höre ich wenig, das sind ja unangenehme Fragen, die man stellen müsste, Probleme, die tief ins Eigentumsrecht und in die kommunale Planung greifen. Ehrliche Aussagen dürften viele Menschen ziemlich nervös machen und verunsichern – da zieht man sich lieber auf das Feld der vagen Temperaturprognosen zurück und trägt diese mit der Inbrunst des apokalyptischen Mahners vor. Aus den vorigen Überschwemmungskatastrophen wissen wir: Schäden werden erst nach Eintreten reguliert, Verantwortungen erst post factum geklärt (oder auch nicht). Da liegt der Klimahund begraben. Aber wahrscheinlich ziehen wir uns auch 2050 noch Horrorvideos von indonesischen Tsunamis rein und sehen dabei zu, wie die Kinderfabrik, in der wir unseren Nippes bestellen, weggespült wird.

Den gesamten Nachmittag erfolglos an einem Hinterrad gewerkelt, bei dem ständig die Zahnkränze eiern. Bewundere den US-Autoboy immer mehr. Der hat es wirklich drauf und man kann sich sogar als Radbastler Handgriffe abschauen. Und die Disziplin im Workflow.

Covid schleicht weiter umher. Die mittelgesunden Kinder bekommen Tee und Salat von mir. Jetzt beginnt die Rucola-Saison. Ich liebe ja eher diese großen Blätter, aber es geht sich halt nicht aus. Bei Bio-Kartoffeln absolute Tiefstpreise von unter 1,40 Euro das Kilo. Aber keiner macht nen Luftsprung. Es kochen ja auch immer weniger. Es gibt wahnsinnig gute Kartoffelsorten – wen interessiert das noch? Ich erinnere mich, dass ich so um 1970 im Fernsehen die Pfanni-Pulverkartoffel-Werbung sah und das erstmal praktisch fand. Meine Mutter erklärte mir dann, warum es das bei uns zu Hause nicht gibt.

Mit der Jüngsten den morgigen Schultag vorbereitet. Sie berichtet, dass bei der Mathearbeit ihre Banknachbarin zusammenbrach und vom Opa abgeholt werden musste. Auslöser: Versagensängste. Bei Zwölfjährigen. Dabei wollen sie nur fleißig sein. Im DLF eine lange, gute Sendung zu Altkleidern, dem Secondhand-Markt, dem Problem der falsch gekennzeichneten Mischgewebe usw. Natürlich alles aus der Wohlstandsperspektive erzählt: Was kann ich wo wegwerfen?

Bei mir schwindet so langsam die zähe Müdigkeit, der Magen meldet keine Störungen mehr – die Magerquark-Kur hat angeschlagen. In Windeseile fällt der Mais. Ein herbstlich kühler Tag mit Schauern.

Das Wetter am Freitag ruhig und kühl und ohne Wind und Regen sehr angenehm. Mein Körper findet das gut. Dazu Jean Francaix‘ großes Oktet in einer schönen Einspielung mit dem Charis Ensemble. Nabokov auf den finalen Seiten köstlich. Der Killer liest in New York Zeitung. Einfach Meldungen aneinandergereiht. Dann sitzt er mit Magenproblemen in der Unibibliothek und findet sich nicht zurecht. Herrlich, wie ihm die Gehilfen den Weg erklären und er ständig auf die Toilette muss. Die Schmetterlinge vom Anfang tauchen wieder auf. Alles fügt sich am Ende, ist virtuos komponiert. Ernst Jünger beobachtet derweil in Antibes die Vermählung von Insekten und Blumen, gibt eine innige Liebeserklärung zur Entomologie ab. Neben der Leidenschaft zur Käferjagd an sich, ist es die Möglichkeit, zu genauen Kenntnissen zu kommen, die ihn fasziniert, das Verständnis von Natur auf einer tieferen Ebene. Die Insekten und ihre Systematik sind nur ein Schlüssel zum Universum, zum Lebensprinzip der Welt in ihrem gewaltigen Überfluss. So treffen beide Bücher aufeinander.

Dank meiner steigender Gesundungskurve ein guter Radtrip. Habe das restaurierte Alpaca-Merino-Wolltrikot abgeholt und das frisch eingerollte Hinterrad checken lassen. Später unsere Tochter zum Musikunterricht gebracht. Für mich nach einer halbstündigen Siesta Kurzecks „Oktober und wer wir selbst sind“: Frankfurt – Staufenberg – Böhmen in wilden Sprüngen; die tranceartige Weltwahrnehmung passt hervorragend in einen halberwachten Zustand. Monatsende: Vor den Supermärkten werden jetzt Stimmungsaufheller verteilt. MYXÖDEM ist das deutsche Scrabble-Wort, das die meisten Punkte erzielt. Die Hagebutten leuchten verführerisch in der milden Sonne.
