Frank Schott, Leipzig
Vor knapp drei Wochen nahm ich von meiner Radtour aus Wörlitz nur einen Wildapfel und aus Dessau die Erinnerung an die verzweifelte Suche nach dem Elberadweg mit. Nun bin ich für vier Tage zurück, um dem Wörlitzer Landschaftsgarten und dem Bauhaus endlich die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie verdienen.

Die Gegensätze zwischen meinen beiden Zielen könnten kaum größer sein – hier der herrschaftliche Park mit seinen künstlich angelegten Tempeln und Ruinen sowie klassizistischen Bauten, dort das Streben nach Sinn und Form und dem Einklang von beidem.

Wörlitz ist an einem Montag noch verlassener als sonst – eine kleine, leere Innenstadt, die meisten Restaurants sind geschlossen, alles Museale sowieso. Aber der Park ist zugänglich – weit und offen, voller alter Eichen, dem für die Stadt obligatorischen Pfau, den aristokratischen Schwänen und ordinären Enten, dem geduldigen Reiher, dem hustenden Raben und, natürlich, den tanzenden Mücken – „die stechen nicht, die wollen nur spielen“.

Das Wörlitzer Gartenreich ist schön. Weitläufig, viel Wasser, viel Grün. Auch hier sind wenig Menschen zu sehen. Ich esse zwei Äpfel, die sonst als Fallobst verfaulen würden. Einmal wundere ich mich, weil gleich mehrere Leute einen Baum fotografieren – dann sehe ich, dass ihr Objekt der im Schatten ruhende Pfau ist.

Bauhaus ist das dann andere Extrem: International ausgerichtete Hochschule, Werkstatt, Atelier; in nur einem Jahr aus modernen Baustoffen als Archetyp des neuen, industriellen Stils errichtet – den es maßgeblich prägte. Interessante Lehrkonzepte mit einem Mix aus Theorie und Praxis, fächer- und materialübergreifend. Die Studenten wurden direkt von Künstlern, Handwerkern, Ingenieuren unterrichtet. Um den Geist zu befreien, war alles Pädagogische „zu entlernen“. Dabei lebte man konsequent den Gedanken aus, dass die Form der Funktion zu folgen hat und die entworfenen Gebrauchs- und Designobjekte seriell und kostengünstig produziert werden können.

Die Meisterhäuser: Streng rechteckige Grundrisse, glatte weiße Wände, flache Dächer, üppige Terrassen – ein Traum von Stadthaus, wie er auch heute noch gefertigt wird. Es gibt interessante räumliche Lösungen – Durchreichen aus dem Kochbereich ins Esszimmer oder eine direkte Tür von der Küche nach draußen. Restauratoren haben unter dutzenden Übertünchungen die ursprünglichen Farben der Wände und Türen rekonstruiert.

Die Arbeitsräume der bildenden Künstler hatten sehr hohe Fenster, so dass viel Helligkeit hereinkam. Paul Klee soll in seinem lichtgefluteten Atelier stundenlang vor der Leinwand meditiert haben, bevor er zu Pinsel und Farbe griff. Auch im Hauptgebäude ist das Licht phänomenal: Fensterfronten über die gesamte Breite und Höhe. Weil das einlagige Glas keine Dämmwirkung hatte, soll es hier allerdings im Sommer heiß und im Winter kalt gewesen sein.

Im Bauhaus Museum finden sich viele Grafiken, Fotografien und Studien zu Architektur und Design, ausgewählte Möbelstücke (die ein bekanntes schwedisches Möbelhaus inspiriert haben dürften), schnörkelloses, alltagstaugliches Geschirr und imposante Lampen, die ihre Herkunft aus den zwanziger Jahren nicht verleugnen.

Die Deutschnationalen bereiteten dem quirligen Treiben dann schnell ein Ende. Man warf dem Bauhaus – neben vielen anderen Dingen – Kulturbolschewismus vor, was umso ironischer ist, da die Dozenten selbst so ihre liebe Not mit den linksgerichteten Studenten hatten. 1933 wurde die Kunst- und Designschule mit all ihren Einrichtungen geschlossen und zur Selbstauflösung gezwungen. Das war ein sehr lohnender Besuch, da mir viele Aspekte vollkommen neu waren.

Und die Stadt selbst? Wegen der kriegswichtigen Junkers-Werke wurde Dessau im zweiten Weltkrieg zu 80 Prozent zerstört. Nach dem Wiederaufbau bot es die typischen DDR-Nachkriegsinnenstadt mit Wohnsilos und üppig großen Parks und Balustraden, unter denen noch die Trümmer des Krieges liegen. Neben dem Stadtschloss und dem Rathaus ist die Marienkirche eines der prägendsten Bauwerke – Ende der 1980er als Veranstaltungsraum rekonstruiert, hat hier seit September 2022 das Mitteldeutsche Theater des gebürtigen Dessauers Dieter Hallervorden sein Zuhause.
