Helko Reschitzki, Moabit

Am Freitag schwimme ich mal wieder im Regen – bei wenig anderem fühl ich mich unserem Planeten mehr verbunden. In der Bucht wird es immer leerer. Ganz selten sieht man einen Wasservogel – mal einen Schwan, mal einen Graureiher. Bei 12° Lufttemperatur am Morgen kommen auch nur noch wenige Schwimmer. So langsam wird wieder das Eisbaden thematisiert. Diejenigen, die es betreiben, sagen alle dasselbe: Du darfst keine Pause machen, musst wirklich jeden Tag rein, dann ist das ganz einfach. Auf dem nach wie vor angenehm warmen Wasser (20°) treiben braun-gelb-grüne Blätter.

Am Samstag in der Ringbahn ein Halbdutzend aufgedrehte Franken. Leider bekomme ich nur ein paar ihrer Satzfetzen mit: „Das ist keine Machtübernahme, sondern eine Marktübernahme.“ „Da roch es wie in einem Torwarthandschuh.“ Da hätte man doch gern auch den Rest gehört. An einer Stelle muss ich schmunzeln – jemand sagt zu einem anderen aus der Truppe: „Na, du hast ja noch vom letzten Ausflug deinen Ruf in Berlin weg!“ Haha, nein. Hier hat keiner „einen Ruf weg“. Wirklich nicht. Irgendwo erzählte neulich eine Hamburger Tagesschau-Sprecherin, wie sie mal mit einer Kollegin durch berliner Bars zog und dabei beide Fetischpferdemasken trugen. Weder die Kellner, noch die anderen Gäste reagierten, nicht einmal, als sie anfingen, „wild zu galoppieren“. Ja, was habt ihr denn gedacht.

Auf der Buchtbank ein interessantes Gespräch mit einer Dame, die gerade an einem Online-Programm für biomechanische Korrekturen teilnimmt, deren Freundin, die Physiotherapeutin ist, und wiederum deren Mann, der aufgrund einer Krankheit – so wie ich – vor ein paar Jahren sein Leben komplett geändert hat. Alle vier nehmen wir wahr, dass in wohlstandsverwahrlosten Gesellschaften wie der unseren körperliche und seelische Leiden zunehmen, und das oft bereits in jungen Jahren – die Therapeutin berichtet Trauriges aus ihrer Praxis. Unsere – nicht sonderlich originelle – Kurzformel für eine mögliche Gegenstrategie: Weg vom Smartphone, rein in den Wald! Und bitte jegliche Art industriell verarbeiteter Lebensmittel meiden.

Am Sonntag ein sehr schöner Spaziergang mit einer befreundeten Kollegin durch den Tiergarten. Obwohl sie als Künstlerin mit Preisen überhäuft wird, lebt sie vollkommen prekär und benötigt mehrere Brotjobs, um für sich und ihren Sohn ein bescheidenes Leben zu finanzieren. Wie immer lassen wir kein noch so unangenehmes Thema aus – und kommen so von der Überwachungskrake Palantir über das WEF und den Transhumanisten Peter Thiel zu Ideologen aller Lager und schlussendlich zu Fimosen. Über die Moorforscher, die uns gerade mit ernster Mine erzählen, dass wiedervernässte Feuchtgebiete eine Art natürliche Verteidigungslinie gegen russische Panzer seien, müssen wir herzlich lachen – was tut man nicht alles für Drittmittel. Während wir vor uns hin schlendern, entdecken wir, dass die kleine hölzerne Löwenbrücke wiedereröffnet wurde – wir sind vollkommen schockiert!!! Sperrung und Bauzeit: 2008 bis 2025. Wir drücken den Dresdnern von hier aus ganz fest die Daumen.

In der Nacht auf Dienstag wird in der Nähe des Technologieparks Adlershof ein Brandanschlag auf zwei Hochspannungsmasten verübt. In mehreren Berliner Stadtteilen kommt es infolgedessen zu einem großflächigen Stromausfall. In Pflegeheimen versagen Beatmungs-, Überwachungs- und andere medizinische Geräte, Kliniken müssen auf Notstromversorgung umschalten. Bei Polizei- und Feuerwachen brechen die digitalen Kommunikationssysteme zusammen, auch der Notruf ist nur sehr eingeschränkt erreichbar. Der Berufsverkehr kommt im betroffenen Gebiet teilweise zum Erliegen, Ampelanlagen fallen aus, Straßenbahnen bleiben stehen. In Teilen von Treptow-Köpenick ist weder mobiles Telefonieren noch die Nutzung von Messengerdiensten wie Signal, WhatsApp oder Telegram möglich; auch der E-Mail-Verkehr ist über Stunden gestört. Unternehmen rund um den Technologiepark müssen die Produktion unterbrechen oder ganz einstellen. Insgesamt sind zehntausende Haushalte sowie mehrere tausend Gewerbebetriebe betroffen. In vielen Fällen dauert es über 24 Stunden, bis die Versorgung vollständig wiederhergestellt ist, teils noch länger. Das Bekennerschreiben taucht dort auf, wo ich es nach der Art des Terroranschlags auch vermutet hatte. Der Staatsschutz ermittelt.

Die IT-Infrastruktur ist fragil und oft nur unzureichend geschützt – besonders in Deutschland, dem digitalen Neandertal. Fast täglich sehen sich bei uns Behörden, Firmen, medizinische Einrichtungen oder Privatpersonen Cyberangriffen ausgesetzt – ganz egal, ob in Großstädten oder im Hinterland. 2025 wurden im Landkreis meiner Mutter in Ludwigslust und Hagenow Kliniken attackiert; 2021 war der Dienstleister, der für die Informationstechnologie der kommunalen Dienste, Verwaltungen und Bürgerbüros in Ludwigslust-Parchim und Schwerin verantwortlich ist, von einem erpresserischen Computer-Viren-Angriff betroffen – über viele Monate hinweg konnte dort nur im Notbetrieb gearbeitet werden. Solche Angriffe schaffen es nur selten in die überregionalen Schlagzeilen – zu groß ist das Interesse der Verantwortlichen, die eigene Vulnerabilität nicht weiter publik zu machen oder potenzielle Nachahmer zusätzlich zu ermutigen. Auf entsprechenden Internetplattformen finden sich solcherart Informationen jedoch meist tagesaktuell und länderumspannend.

Am Donnerstag meldet sich um 10:57 Uhr die S-Bahnfahrerin mit der Durchsage, dass wir bitte nicht erschrecken sollen, wenn um 11 Uhr im Rahmen des bundesweiten Warntags ein Probealarm auf unseren Smartphones ausgelöst wird. Drei Minuten später heulen dann auch pünktlich alle Handys im Abteil los – nur meins nicht. Für das, wovor ich gewarnt werden möchte, gibt es andere Informationssysteme. Die Polyphonie der kollektiven Signale hat mir aber gefallen. Große Erleichterung: Die Waschmaschine hat, nachdem sie letzte Woche auslief, keinen weiteren Schaden davongetragen. Ebenso prima: Beim Tischtennis kann ich dem alten dagestanischen Karatekämpfer ein paar Sätze abnehmen, woraufhin er mir anerkennend auf den Bauch klopft – möglicherweise eine jahrhundertealte Geste der Ehrerbietung in seiner Stammeskultur? Ich werde das beobachten.
