Helko Reschitzki, Moabit
Jetzt, wo der Schnee geschmolzen ist, sieht man wieder die toten Tiere auf den Gehwegen und in den Parks. Mal schauen, wer nun schneller ist – die Stadtreinigung, die Krähen oder die Ratten.

Helko Reschitzki, Moabit
Jetzt, wo der Schnee geschmolzen ist, sieht man wieder die toten Tiere auf den Gehwegen und in den Parks. Mal schauen, wer nun schneller ist – die Stadtreinigung, die Krähen oder die Ratten.

Christoph Sanders, Thalheim
Eine kleine Perle entdeckt: „Der Ball ist ein Sauhund“, ein Film über Rudi Gutendorf und dessen Freund Werner Herzog. Gleich fiel mir das rheinisch gefärbte Deutsch auf, der Thrill, als die beiden vor eindeutig Westerwälder Kulisse anstossen. Gutendorf: Name bekannt, seit ich mit meinem Vater einen kurzen Bericht über den Weltenbummler sah, noch auf dem Schwarz-Weiß-Fernseher. Konnte nicht wissen, daß ich eines Tages in seinem Radius leben sollte. Über die Todesanzeige hatte ich die Adresse, die alte Telegraphenstation ist noch auf Wanderkarten verzeichnet.
Frost über Nacht weg, ohne daß es zu Regen kam. Das sind immer die gefährlichen Momente, wenn eine Warmfront auf die vorgefrorene Straße trifft, da hilft kein Streusalz, das ist nach Minuten weggespült.
Noch immer finden die edlen Sonnenblumenkerne für die Vögel keine Abnehmer – Reformkost! Dann gibt es wohl auf den Feldern genug Disteln. Besser so.
Ein passabler Morgen. Der Duft der Hyazinthe hat den Raum im Griff. Morgen wird es Zeit für einen Nachfolger, die erste Blüte neigt sich schon in die Waage. Die Rhythmusänderung zum 6-Uhr-Takt nach den Ferien steckt allen in den Knochen, hell wirds erst gegen 8.

Helko Reschitzki, Moabit
Kantstraße Nr. 108 in Charlottenburg, das Erdgeschoss eine riesige Baustelle. Im Nachbarhaus die eher seismographisch spür- als sichtbare Oberflächenspannung der Parfums im Schaufenster der Manufaktur „Harry Lehmann“.
Die kleine Firma, 1926 vom Namensgeber gegründet, residiert nach einigen Standortwechseln quer durch die Stadt seit 1958 hier. Hat alle Kriegs- und Krisenzeiten überstanden, zuletzt 2022 den Tod des Sohnes und Nachfolgers Lutz, der fast ihr Ende bedeutet hätte. (Als die Nachricht vom Tod Lutz Lehmanns die traurige Runde machte, legten nicht wenige Freunde und Freundinnen des Hauses ihm zu Ehren ein Tröpfchen ihres lehmannschen Lieblingsduftes auf – that’s the spirit!)
Nach einer anderthalbjährigen Pause wagten im vergangenen Jahr zwei neue Betreiber den behutsamen Wiederbeginn, so dass im Keller in guter Tradition weiterhin Düfte gemischt, abgefüllt und dann oben im Laden nach Gewicht verkauft werden. Schön ist, dass es neben dem Probiertropfer auch immer noch die Apothekerflaschen aus den Dreißiger Jahren gibt – seit Jahrzehnten Blickfang und Augenweide der Auslage. Der Kampf gegen die ästhetischen Zumutungen wird nicht nur an der olfaktorischen Front geführt!

Die Themen Kunstblumen, die in einem anderen Teil des Ladens verkauft werden, natürliche versus synthetische Düfte oder Rohstoffmärkte wären eine weitere Betrachtung wert.
Christoph Sanders, Thalheim
Charlie Dalin hat heute bei Tagesanbruch die Vendée Globe als Sieger bendet – Einhandsegler, in 64 Tagen um die Welt. Es gewinnt ein Normanne vor einem Bretonen, diese Nunance ist wichtig, das Rennen startet in der Vendée, also auf neutralem Boden. Der Wettbewerb wird alle vier oder fünf Jahre ausgetragen, man ist gebannt als Co-Skipper auf den Schiffen dabei, wenn sie ihre Videos posten. Eindrucksvolles Verhältnis von Segelfläche zu Schiffsgröße.
Polare Aussichten draußen, die Sonne ist nun durch. Die Nacht mit Vollmond, der durch die leichte Bewölkung drang und die Illusion eingeschneiter Dächer verbreitete. Das Rad wartet im Keller auf Feinöl, die Schaltzüge frieren mir sonst ein, der Rest ist pflegeleicht.
Gleich werde ich den Hasen frisches, vor allem flüssiges Wasser bringen. Es geht ihnen gut, gegen Mittag verlassen sie abwechselnd den Stall, um Freiübungen zu machen, das sind so kleine Sprints auf dem Geläuf.
Die Finken, denen ich Sonnenblumenkerne auf den Weg gestreut hatte, kamen nicht, da gibt es wohl fette Alternativen in der Nachbarschaft.

Anna Techte, Krandorf

Ein schöner Tag mit ziemlich blankgeputztem Himmel, der ein paar Sonnenstrahlen durchließ. In den Morgenstunden habe ich die Bach-Arien mitgesungen und mir untersagt, die auf mich gerichteten Blicke der Katze zu interpretieren, obwohl ich Vergleiche habe, wann sonst sie ähnlich die Ohren bewegt und guckt. Mir war es so heilig zumute, dass ich ganz tief im Innersten ruhig und zufrieden wurde. Dann hab ich die Töpfe von gestern abgedreht und zugedeckt, später ein köstliches Mal für drei Gänge bereitet, meinen Besuch bewirtet und recht schnell wieder zum Tor gebracht, den Abwasch erledigt, Holz geholt, Ton hochgeschleppt und gewässert, die Pyramiden dem Sommerschlaf übergeben, später telefonisch noch den Termin für den nächsten Brand festgelegt und Tee getrunken. Nun singt Marian Anderson schon wieder so wunderbar, die Aufnahme ist von 1946. Ich weine nur fast und gehe jetzt henkeln. Kreuz und Kronen sind verbunden, Kampf und Kleinod sind vereint.
Lore Morr, Parchim

Auch heute ist es kalt und die abgesägten Bäumchen zittern vor sich hin in der Kälte. Meine Zimmerpflanzen haben es aber warm. Und diese Nacht hat mich der Mond schlafen lassen.
Christoph Sanders, Thalheim
Um 7:30 Uhr steht der rosige Streif des Feuerballs am Horizont und verspricht einen kalten Tag. Das Ballett der Frostautos auf dem Parkplatz der Kita. Die Elstern auffällig aktiv. Ich habe Sonnenblumenkerne über den Weg gestreut, mal sehen, wie schnell sich das herumspricht. Bei Minus 5 kommen die Finken aus dem Wald und von den Feldern her.
Die Hyazinthe ist nun vollständig erblüht, die jüngsten Blüten sind etwas bleicher als die ersten - Licht wird in Farbe umgewandelt.
Bei Adam Tooze eine hervorragende Übersicht über Curzio Malapartes Weltkriegstrilogie - es geht um die Mechanisierung der Gesellschaft, den Kampf der Fachkräfte, den Zynismus der Eliten, "Die Haut" (Buchtitel), die zu Markte getragen wird, den Opportunismus des Hungers und des Überlebens, all das, worüber bald geschwiegen wurde.
Laute Empörung meines perfekt geschminkten Teenies über die Unmenschlichkeit des frühen Aufstehens. Sie hat es erfasst, aber hunderttausende Wanderarbeiter auf der Autobahn Frankfurt können nicht irren.

Helko Reschitzki, Moabit
Ich versende ab und an mal ein Tierfoto, das auf meinen Gängen durch die Parks und Wälder entstanden ist. Die meisten Rückmeldungen gab es dabei auf ein vollkommen unspektakuläres, eher langweiliges Bild (so dachte ich), das ich im Waldmuseum Grunewald gemacht hatte. Diese präparierten Füchse müssen im Betrachter irgendetwas auslösen, was lebendige Tiere nicht auslösen, sie werden, so die Reaktion, als gruselig empfunden. Das finde ich interessant, vor allem, weil wir in einer Zeit leben, in der sich viele über ihre Smartphones mehrmals am Tag mit Nachrichtenbildern versorgen lassen, die Tod und Zerstörung dokumentieren.

Wann immer ich Füchsen begegne, kommt mir, ohne dass ich das möchte, das Lied „Fuchs geh voran“ von den Scorpions in den Sinn, eine auf deutsch gesungene Sweet-Coverversion aus dem Jahr 1975: „Fuchsi Fuchs sei schlau / geh zurück in den Bau“.
Christoph Sanders, Thalheim
Am Samstag mit einem Freund die große Runde in den Taunus inklusive Feldberg; dieser ist knapp 900 Meter hoch, Teil des Rheinischen Schiefergebirges, einem der ältesten Deutschlands, wir reden von 300 bis 400 Millionen Jahren.
Am Fuße Minus 2 Grad, auf dem Gipfel Minus 5, die Frostzone beginnt ungefähr 10 km vorher, mit jedem Meter nach oben wird es schneereicher. Die letzten Kehren dann im Chaos – Gipfelstau: Ende der Schulferien, viele Touristen, die beiden Linienbussse kommen kaum durch. Auf 800 Metern hunderte Parkplätze, sämtlich belegt; manche stellen ihr Auto einen Kilometer tiefer ab, um dann den Rest mit dem E-Mountainbike zu fahren.

Aus dem dichten Nebel dann auf der Nordseite wieder hinunter. Nach und nach wird der Verkehr lichter, es ist sehr schnell dörflich, einige Straßen in Oberreifenberg sind im erbärmlichen Zustand. Endgültige Entspannung, als wir auf die kleinen Wege quer durch die Hügel abbiegen. Große Pause in Schmitten. Man muss die Kalorien regelrecht bunkern. Durch das Weiltal dann nordwärts nach hause. Die Finger sind taub.
Sonnenuntergänge im Winter sind eindrucksvoll, wir phantasieren uns schon Wölfe hinzu – sehen aber nur einen Fuchs, der sich schnell im Schnee flachmacht als er uns bemerkt.
145 km in 7h30.
Helko Reschitzki, Moabit
Ich bin heute Nachmittag meiner Botaniktrommel-Chronistenpflicht nachgekommen und habe in der Sammlung Scharf-Gerstenberg die Ausstellung BÖSE BLUMEN angeschaut, laut Eigenwerbung „ein Streifzug durch die Kunst der beginnenden Moderne bis hin zu zeitgenössischen Werken, um die Ästhetik Baudelaires in ihren verschiedenen Aspekten zu beleuchten“.
Von der nachgesagten Sprengkraft seines Gedichtbandes „Les Fleurs du Mal“ (Erstfassung 1857) ist nichts auf die Kunstwerke übergegangen, es war so, als ob man nacheinander dreißig sehr langsam sprechenden Menschen zuhören würde, die umständlich ihren jeweils letzten Traum nacherzählen – so etwas muss man wirklich mögen (oder dafür bezahlt werden).
Zwei der Bilder aber gefielen mir: Alexander Kanoldts „Porträt der Tochter Angelina“ aus dem Jahr 1935 sowie das Urlaubsfoto einer gewissen Frau von Schuler, die mit Sonnenbrille und in einem hübschen mintgrünen Kleid 1969 in Karthago vor riesigen Kakteen posiert – es ist das Nicht-Kunstvolle, das da den Reiz ausmacht, das, was all den ebenso ausgestellten Surrealisten wie Magritte oder dem Biedermeiermaler Spitzweg logischerweise abgeht. Insgesamt war das Gesehene meiner Meinung nach also eher fad, selbst nur leicht Irritierendes (respektive „Böses“) fehlte völlig, es sei denn, Blüten, die wie eine Vulva aussehen, bringen einen ins innere Trudeln. Einen tiefer gehenden Baudelaire-Bezug konnte ich nicht erkennen.
Was mich bei diesem Ausflug nach Charlottenburg dann wirklich berührte, war der unfassbar traurige Anblick des schneevereisten, menschenleeren Kunstrasenplatzes in der Fritschestraße, nicht einmal Vögel waren zu sehen oder zu hören. Trostlos pfiff der Wind durchs netzlose Tor. Trüber als Nacht will uns der Tag erscheinen.

Lore Morr, Parchim
Beim Geburtstag gestern haben die endlich mal den Blumenkohl bissfest hinbekommen! Die Bratkartoffeln waren wie immer eine Katastrophe. Egal in welche Gaststätte du bei uns gehst – die Zwiebeln sind jedesmal verbrannt. Die kommen zum Schluss in die Pfanne, das müssen die doch wissen als gelernte Köche! Aber der Blumenkohl war hervorragend und meine Forelle auch. Ich habe die Kinderportion bestellt, das reicht mir. Am Tisch, bis auf einen, nur noch Witwen, in unserem Alter sterben einfach die Männer weg.
Weil der Mond so hell war, konnte ich dann nicht einschlafen. Der sah zwar wirklich sehr schön aus mit seinem strahlenden Kranz, aber ich hätte einfach gern geschlafen.
An den Ecken ist immer noch ein bisschen Schnee und der Himmel ganz grau – aber wenn die Sonne rauskommt, geh ich auch raus!

Anna Techte, Krandorf
Nach dem Spaziergang war direkt an der Einfahrt der Acker voller Kraniche - ich hab erst vor kurzem gelernt, dass man jedes unnötige Aufscheuchen vermeiden soll, da das die Vögel viel Energie kostet und deren Leben sehr verkürzen kann bei der wenigen Nahrung im Winter.
Christoph Sanders, Thalheim
Völlig ausgeschlafen spät gegen 8:30 Uhr auf. Neuer, fein rieselnder Schnee hatte wohl alle Geräusche gedämpft, die Sicht ging keine 200 Meter weit. Hyazinthe Nummer 1 hat sich entfaltet, die anderen beiden arbeiten noch. Sie blicken auf eine leicht gepuderte Umgebung bei Windstille - so mag ich es auch. Im Radio mal Seriöses: die Lebensgeschichte des Benno Elkan aus Dortmund, im Februar 1900 Mitgründer des FC Bayern, jüdischer Bildhauer, 1934 nach England emigriert, wo er den Rest seines Lebens verbrachte, Träger des Order of the British Empire, er starb 1960 in London. Was für ein überreiches Leben in diesem überreichen alten Jahrhundert! Dessen Geschichte wir allzuoft vergessen, weil in der Gegenwart hier und da der Schuh etwas drückt.
Die letzten Stückchen Christstollen aus dem Nachbardorf, "Aus eigener Herstellung" wie uns der kleine goldgerahmte Aufkleber bestätigt, dazu allerbester Bohnenkaffee.

Helko Reschitzki, Moabit
Lief gerade meinem Nachbarn über den Weg. Wann immer wir uns begegnen, zählen wir, ohne dass wir das jemals vereinbart hätten, kurz auf, was uns gerade die Seele erhellt – stärkende Blitzgespräche im Hausflur.
Heute von meiner Seite: Der Schnee im Kleinen Tiergarten mit seinen feinen Tierspuren und im Kontrast dazu die tiefdunklen groben Abdrücke in unserem Hof, der leichte, wach machende Regenwind, die Katzenfäden auf der Rückseite des von Lise Gujer gewebten Teppichs.
In meiner Wohnung dann eine halbe Pampelmuse und Datteln, der frische Teeaufguss mit Lindenblüten, Gun Powder, Gottvergeß und Demut, dazu der herrlich disharmonische Schrammelfolk der guten alten Mountain Goats, das Blättern im Buch mit den Holzschnitten Anselm Kiefers. Die Heizung arbeitet tadellos.


Christoph Sanders, Thalheim
Habe gestern Nachmittag bei der Nothilfe einen schiefergraublauen Baumwollanzug und ein leicht mauverosiges Hemd gekauft. Für den Sommertag am See. Als ich aus dem Laden kam, begann dann der fast blizzardartige Sturm, die Straße lag innerhalb kürzester Zeit unter 10 cm Schnee. Zum Glück hatte ich das Rad in den Schwedenkombi gepackt - die haben da wirklich andere Lüftungen und Heizungsteile als wir hier. Zur Feier der geglückten Heimkehr gabs Tortelloni mit Champignons und Grünen Bohnen, mein Sohn machte die Crème-Sahnesauce. Er bestand darauf! Danach schien wieder die Sonne.

Christoph Sanders, Thalheim
Hohe, schmale Wolken in zartem Blau ziehen vorüber. Die Festbeleuchtung der Kirche ist ausgeschaltet, der Kindergarten nach der Feiertagspause wieder geöffnet. Die Elternautos mit Rauchfähnchen auf dem Parkplatz; ein Paar steigt aus, die Mutter geht voran, der Vater (Vermutung) orientiert sich, sichert nach hinten ab. Also neu hier. Der Tag hat sich noch nicht entschieden, den Frost abzuschütteln.

Zwei von den drei Hyazinthen ist der Durchbruch gelungen, vier Zentimeter an einem Tag, jetzt noch die Öffnung der Blüten, die sich gelblich verfärbt haben.
Bernd Wagner, Kreuzberg


Christoph Sanders, Thalheim


Nach der harten Tour gestern fühlt sich der Körper leicht und klar an, das, was ich über Wochen vermisste. Zum Mittag habe ich Selleriesalat mit Joghurt-Senfsauce und Merrettich aufgehübscht, meinem Sohn kamen die Tränen. Ein eher belangloser Nachmittag mit Arbeit an neuem Reisebericht, später an die Violine, danach eine fette Bio-Orange, die kosten gerade weniger als Äpfel im Kilo. Die Stimme der Radiosprecherin krächzt, vermutlich kann sie sich nicht krankschreiben lassen - der Druck der Freiberufler. Vollkommen bizarre Berichte von einer Elektronikmesse in Las Vegas: jetzt hebt der Saugroboter die Strümpfe auf. Man nennt es Fortschritt.
Susanne Kasperowski, Gadebusch

Außenkamera Garten, 21:03:09, 08-01-2025
HEL Toussaint, Prenzlauer Berg

Grafik: Helko Reschitzki, Moabit
Anna Techte, Krandorf
Irgendjemand erzählte, dass Goldschakale Katzen fressen! Aber die können wohl nicht klettern, da wird sich die Katze dann schon zu helfen wissen. Es sei denn, uns alle treiben vorher noch die Windräder in den Wahnsinn.
Christoph Sanders, Thalheim
Von der ersten längeren Fahrt des Jahres zurück; als ich mich mitsamt Rad durch blödsinnige Bauzäune wuchten musste, habe ich mir eine Rückenzerrung geholt; mit Wärmesalbe und Ruhe dürfen sich die Muskeln nun langsam regenerieren.
Zunächst ging es 50 Kilometer gegen den Wind - zum Glück gibt es Wälder! Dann 20 km seitlich am Rhein gekreuzt und schließlich 40 abenteuerliche km durchs Lahntal, in dem gleichzeitig mehrere Straßen repariert wurden. Und drei Bahnbrücken, unter anderem auf der strategisch wichtigen Linie von Gießen zum Rhein. Da schaut der vorbildliche Verkehrswender blöde aus der Wäsche - ein ganzes Jahr sind die Trassen nicht nutzbar. ("Das Jahrzehnt des Bauens hat Fahrt aufgenommen. Mehr als 800 Neubau- und Instandhaltungsmaßnahmen im Schienennetz Rhein-Main!")
Der Rheinpegel ist gestiegen und die Lahn strömt weiter eifrig zu, weshalb plötzlich etliche Radwege ersatzlos gesperrt und sogar die Umleitunghinweise wieder durchgestrichen waren. Absurd. Aber es fuhren eh nur 2 bis 3 Personen Rad auf 100 km.
Ein Lichtblick dann in der ehemals vollbeschäftigten Kleinstadt Bendorf, wo ich unweit der vor Kurzem geschlossenen Sparkassenverwaltung in der Bücherverschenktelefonzelle eine Ausgabe der "Strahlungen" fand und gleich in der Tankstelle eine irre Stelle über Bunker aufschlug. Neben mir saß ein Mitarbeiter eines Paketdienstes und sah pausenlos Shorties auf seinem Smartphone: Feuerwehrvideos und Hochzeiten von Feuerwehrleuten ... Bilder aus einem n-ten Paralleluniversum, das Papierzeitungen 2025 weiter Richtung Gruft schicken wird.
Bin trotz Zerrung über meinen Ausflug sehr zufrieden, auch wenn es zum Ende hin kulinarisch und kalorisch noch knapp wurde - den Tankstellen gehen Baguettes und Brühwürste aus, es ist halt blöd, wenn der lokale Metzger schon lange vor der Sparkasse die Rollos runterließ.

Christoph Sanders, Thalheim
Die Sturmkulisse wurde von einem zarten Blau mit Varianten grauer Streifenwolken abgelöst. Deutlich über Null, so an die 4 bis 5 Grad werden es mittags sein. Das Kirchturmkreuz ist links von Dohlen und rechts von Staren belegt, man achtet auf Abstand. Die Hyazinthen wachsen drillingsförmig empor und gleichen Raketen, bereit zum Launch ihrer kleinen Duftsatelliten (Farbe noch nicht bekannt).
Die Züge unserer Bimmelbahn fallen regelmäßig aus. Praktisch, wenn man das denen, die darauf angewiesen sind (Schüler, Rentner, Asylbewerber) per App im Sekundentakt mitteilen kann. Wehe dem, der niemanden mit einem Auto kennt.

Helko Reschitzki, Moabit
Meine schlagartig gute Laune beim Betreten der charlottenburger Dentalpraxis in der die beiden jugen Zahnarzthelferinnen auch nach Eintreffen der ersten Patienten in sehr großer Lautstärke Neil Youngs „After the gold rush“ hören. Nun macht sich Mutter Naturs silberne Raumkapsel also auch von hier aus auf die Flucht Richtung Sonne … (Kinder, der Mutti gehts noch immer nicht so gut, nu nehmt doch bitte bitte bitte endlich mal Rücksicht!)
Als ich am Ende der Krummen Straße an der Brombeerhecke am S-Bahndamm vorbeigehe, die Vorfreude auf den Sommer. Ich könnte eine Westberlin-Karte erstellen mit den öffentlich zugänglichen Stellen, wo ich meine Kräuter, Blätter, Früchte und Beeren pflücke … und wundere mich Jahr um Jahr, dass dieses anscheinend kaum noch ein Mensch macht – die Esskameraden haben vier Beine, ziehen eine Schleimspur oder können fliegen.
Nieselregen, der Schnee komplett getaut, eine beinah frühlingsmilde Luft – mir fast schon etwas unangenehm für die Jahreszeit.

Christoph Sanders, Thalheim
Stürmischer Abend. Faszinierend die Schattenrisse der bebenden Tannen, Lärchen und Birken vor dem flammenorangenen Himmel. Als stecke ein gigantisches Feuer dahinter, das die Bäume mit seinem Hitzeschwall schüttelt. Danach der Übergang ins Blaugraue. Als ich um 17 Uhr meinen Monatstee Pai Mu Tan in seinen Riesenblättern aufgieße, ist es noch spürbar hell. Feldsalat mit Couscous gemischt, die Walnüsse werden knapp. Gleich noch den Joghurt, dann zurück zu Safranski und Cotten. Früh Schlaf tanken und dem Reststurm zuhören. Morgen möglicherweise die ersten 100 Kilometer des Jahres.

Lore Morr, Parchim
Der erste Schnee des Jahres! Unter dem Müllsack verbirgt sich eine Dipladenie, die soll keinen Frost abbekommen. Hoffentlich nicht! Im Sommer ist sie wunderschön.
Der Weihnachtsschmuck aus dem Wohnzimmer ist wieder in der Kammer, nun ist alles ordentlich.

Anna Techte, Krandorf
Heute war eine wirkliche Fuchsschönheit hier, keine 20 Meter vorm Küchenfenster - das Winterkleid derart prächtig, ich hatte sofort den Wunsch, ich dürfte es anfassen. Die schwarzen Linien, die Schwanz und Körper zu umrahmen scheinen, hab ich noch nie so deutlich wahrgenommen.
Die kleine Pause zum Jahreswechsel ist vorbei, es gibt viel zu tun. Das Königreich ist zu groß, die Untertanen, die schuften müssen, heißen Disziplin, Struktur, Stetigkeit, Gelassenheit. Manchmal fallen welche aus oder sind noch zu klein!
Helko Rechitzki, Moabit
Nachmittags dann der erste Schnee des Jahres. Sofort sind wieder all die Erinnerungen an vergangene Winter da. An meinen Opa inmitten der Enten, die an den dampfenden Futtertrog drängen, an meine Eltern und meinen Bruder beim Gang durch das verschneite Birkenwäldchen, den Fuchs auf der großen weißen Fläche des Maisfeldes, in dem wir uns noch vor gar nicht allzulanger Zeit vor dem Platzwart verstecken konnten. Ich spüre die Wangenkälte auf dem Weg zur Poliklinik, den Geschmack der Salmiakpastillen und Bromhexintropfen, meine Freude, nicht zur Schule zu müssen; die Pfützen sind gefroren, es riecht nach frischen Brötchen und dem Koks der Kachelöfen. Alles ist wieder da – und war niemals weg.

Christoph Sanders, Thalheim
Um die null Grad, 2 cm Neuschnee, der sich im Niesel verdünnt. Der Wind ließ nach, die feine, nächtliche Puderzuckerschicht auf den Hausdächern bald verschwunden. Helligkeit nimmt spürbar zu, besonders gegen Abend. Unauffällig hüpfen Meisen mit ihrem Ruf durch die Büsche.

Gestern ganz wunderbar Bachs Cellosuiten mit Fournier von 1960. Lob der Digitalisierung, der Ton steht im Raum, der Cellist ist DA. Die erste Einspielung war noch ein Projekt über Jahre – man kann das alles eigentlich nicht am Stück spielen, in Blöcken arbeiten ist besser. Gerade für uns Hausmusiker – wie sagte die Jüngste zu meiner zunehmenden Verzweiflung: Papa, lass es, es ist wie bei mir wenn ich irgendwas in Mathe nicht kapiere: dann kann ich es immer und immer wieder lesen, es geht nicht mehr. Am nächsten Tag verstehe ich plötzlich alles sofort.
So wie ich auch sofort das typische Aroma der Aachener Printen verstehe: Es ist das sogenannte Süßholz, was tatsächlich ein wilder Strauch ist. Im Baskenland hatten sie gerade frisch die Wegränder gemäht und ich kam einen kleine grünen Pass herunter – der Duft geht wie osmotisch durch den Körper. Ein paar Tage später stand ich in einer kleinen Takstelle bei Bayonne, die Süßholzstäbe zum Kauen verkaufte – eine Entwöhnungstechnik für Raucher. Wir kennen das Aroma vermutlich nur noch künstlich im Lakritz oder eben im Weihnachtsgebäck.
Warten auf die Hyazinthe, dann ist Epiphanias.
Majla Zeneli, Athen

Daran würde sie erkennen, dass sie unter einem Olivenbaum wandelt.
Lore Morr, Parchim
Im Radio haben sie vorhin gesagt, dass es bei uns Glatteis geben soll. Dann kann ich morgen wohl wieder nicht raus mit dem Rollator, gestern und heute auch schon nicht, weil es die ganze Zeit regnet. Zum Glück laufen im Fernsehen immer noch so viele Märchenfilme, „Rumpelstilzchen“ mit Katharina Thalbach hab ich bestimmt fünf mal gesehen.

Christoph Sanders, Thalheim
Habe 90 Minuten genutzt, um zwischen rosig-bleiernen Wolken eine feine Hausrunde über die Schneegrenze zu drehen. Ab 350 Metern bleibt er liegen, so kann es bleiben. Steifer Nordwest, die Windräder scheinen auf Halten gestellt, es gibt gerade zuviel Strom im System. Die Luft tief und klar. Ein paar abgelegene Dörfer am Vulkanhang, die Sonne sei ihnen gegönnt. Auf der Schattenseite machen die Straßen es nicht lange: Frost und Tau lassen sie schnell schrundig werden, die Salzung tut ihr Übriges. Es sind oft die hübschesten Strecken.
In unserer Straße stehen die Blauen Tonnen in Reih und Glied – morgen kommt der Altpapiersammler. Der Teenager zelebrierte Ofenpommeskartoffeln und ein saftiges Rumpsteak mit Rucola und Weinzwiebeln, das sitzt nun fest im Magen. Jetzt werden die Kerzen angezündet, bis Drei Könige hält die Tanne.

Christoph Sanders, Thalheim
Mit der Tochter das Scrabble weitergeführt und neue Monatskerzen für den Baum bekommen, weißgelb und mittellang. Das wundervolle, bronzene Licht so einer Kerze mal 12. Das haben die LED- und Girlandenproduzenten nie verstanden: so etwas entwickelt im Wortsinn eine Aura, einen Lichtkreis um den Flammenkern herum. Die poetische Wirkung dürfte seit 10000 Jahren bekannt sein.
Bei Rossmann kurz den Grußkartenlieferanten gesprochen. Er fährt seine Routen von Marburg aus, den Westerwald hinauf, nach Osten bis Bad Hersfeld, nach Nidda im Süden. Eigentlich nur Mittelgebirge, schöne Straßen und kleine Dörfer. Jetzt sind die Kommunions- und Osterkarten dran.
Die Schneewolken sind durch, meine Lieblingskiefer am Berghang fiel einer schnellen lautlosen Fällaktion zum Opfer. Sie hatte alle Stürme seit Kyrill im Januar 2007 locker überstanden. Mit mir werden allenfalls zwei Kolkraben trauern.

Christoph Sanders, Thalheim
Die Wirklichkeit pendelt um den Nullpunkt, ist jetzt drüber. War gestern drei sehr gute Stunden auf dem Rad. Der Körper muss wieder gewöhnt werden, was gelang. Die Reste des heftigen Infekts noch spürbar. Kleine Dörfer auf dem recht abgelegenen Landrücken zwischen Lahn und Ahr. Die Höhen fast waldlos, der Wind bläst kräftig. Letzte Äpfel am Baum. Ernte. Wo er nicht faul war, schmeckte er fantastisch und gab einen willkommenen Schub.

Soundtrack: „Träumereien 2“ mit Richard Clayderman – meine Weihnachts-LP. Was an Clayderman auffällt, sind die perfekten Arrangements. Im Prinzip spielte die Pianistin im Hildesheimer Antikenmuseum nichts anderes (ich bat sie – mit Erfolg! – um die „Ballade pour Adeline“), und eigentlich funktioniert der Stoff genauso wie seinerzeit, als er die Charts anführte (ca. 1980?) Neben den Grabkammern das mumifizierte Nilkrokodil von fast vier Metern.
Die Vögel brauchten einen halben Tag, um sich von den Böllern zu erholen. Sind aber alle noch da. Schneeregen, ein Scrabble mit der Jüngsten wartet auf Vollendung.
Helko Reschitzki, Moabit
Beginne den Tag wie seit vielen Jahren mit einem kleinen Dampfbad: Minze, Eukalyptus, Teebaum; die Öle vermischen sich im Wasser und machen den Kopf frei – nicht nur die berüchtigt-berühmten oberen Atemwege, sondern auch die ungleich bekanntere Seele. Inhalieren, innehalten.
Dazu füllen Choräle Hildegard von Bingens das Zimmer – „Sponsa Regis“, eine wundervolle Einspielung des italienischen Ensembles La Reverdie für Arcana aus dem Jahr 2003. Dass die weithin als sogenannte Kräuterfrau bekannte Äbtissin liturgische Lieder schrieb, scheint kaum jemand zu wissen, wahrscheinlich verkauft man unter ihrem Label mehr Gewürze als CDs oder Streams – solang es beides gibt, soll es mir recht sein.
Danach Frühstück, eine spontane Müslimischung mit Kuhjoghurt und einem Apfel, der erste Teeaufguss: Moringa, Wermutkraut, Chun Mee und Ingwer. Etymologisch betrachtet, trinke ich da „Baum des Lebens“, „Mensch mit mutiger Gesinnung“, „Schöne Augenbraue“ und „Wurzelhorn“. Prosit.

Helko Reschitzki, Moabit

Auf, ins Freie!
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